Am 14.11.2024 wandten sich die Initiativen und Projekte des interreligiösen Dialogs mit folgendem gemeinsamen Appell an den Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Joe Chialo, gewandt. Auch ihre Förderung erfolgt über den Kultur-Haushalt des Landes Berlin.
Sehr geehrter Herr Senator Chialo,
als Verantwortliche in Projekten des interreligiösen und des intrareligiösen Dialogs und als Personen und Organisationen, die diesen Dialog unterstützen und entsprechende Angebote für ihre eigene Arbeit nutzen, sprechen wir uns entschieden gegen Kürzungen in diesem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unverzichtbaren Bereich aus. Denn:
- Interreligiöse Begegnung im Dialog trägt wesentlich zum friedlichen Miteinander in der multikulturellen und multireligiösen Stadtgesellschaft bei – und erreicht inzwischen Milieus, die anders nicht erreichbar wären.
- Interreligiöser Dialog bietet wichtige Lernfelder für Jugend, Bildung und Medien.
- Durch interreligiösen Dialog werden Ansprechpersonen gewonnen und vernetzt, die insbesondere in Konfliktsituationen unverzichtbar sind.
- Ohne interreligiösen Dialog und seine Vermittlung in die Communities hinein würden antagonistische Kräfte in den Religionen an Einfluss gewinnen.
- Interreligiöser Dialog lebt von vielfältigem ehrenamtlichem Engagement.
- Ohne kontinuierlich wirkende, Begegnungen anregende und organisierende, professionelle Strukturen würde es aber die meisten Dialogformate nicht geben.
- Eine Unterbrechung der Förderung würde die Dialogformate gerade in den Bereichen gefährden, wo sie besonders gebraucht werden.
Wir bitten dringend, bei den Verhandlungen zur Aufstellung des Berliner Landeshaushalts die beigefügten „Zehn Argumente gegen Kürzungen beim interreligiösen Dialog“ zu beachten.
Berlin, den 14. 11.2024
Berliner Forum der Religionen | Deutsche Islam Akademie e. V. | Drei-Religionen- Kita-Haus e. V. | Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin e. V. | Interkulturelles Zentrum Genezareth | Jüdisches Zentrum Synagoge Fraenkelufer e. V. | Lange Nacht der Religionen in Berlin e. V. | Muslimische DiaLogen | Muslimische Kulturwoche | Stiftung House of One
Zehn Argumente gegen Kürzungen beim interreligiösen Dialog
1. Potenziale der Religionen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Religion hat für viele Menschen in Berlin identitätsstiftende und motivierende Bedeutung. Ihre freie Ausübung steht unter dem Schutz des Grundgesetzes. Dieser gilt allen Religionen und Religionsgemeinschaften gleichermaßen. Mit ihren auf friedliches Miteinander, Solidarität und Barmherzigkeit verpflichtenden Impulsen tragen die Religionen in vielfältiger Weise zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei:
Sie regen in Gottesdiensten, Glaubensunterweisung, Kultur- und Bildungsarbeit und im schulischen Religionsunterricht zum gemeinsamen Nachdenken über gesellschaftliche Mitverantwortung an, über die zugrundeliegenden Werte und über friedliches Umgehen mit Konflikten. Sie ermutigen zu ehrenamtlichem Engagement, auch außerhalb des jeweiligen religiösen Zusammenhangs, und bieten hierfür Lernfelder. Sie wecken grundsätzliche Spendenbereitschaft. Im religionsübergreifenden Dialog engagierte Religionsgemeinschaften laden ihr Umfeld zu Festen ein und machen das Miteinander der Religionen und Kulturen positiv erlebbar. Bei besonderen gesellschaftlichen Herausforderungen wie in der Pandemie oder nach er-schütternden Ereignissen eröffnen die Religionsgemeinschaften Räume des Trostes und helfen bei der Verarbeitung und der Wiedergewinnung der kollektiven Handlungsfähigkeit. Interreligiöses Zusammenwirken hat gerade bei solchen Anlässen inzwischen nachgerade Selbstverständlichkeit gewonnen, basierend auf etablierten und eingespielten Dialogstrukturen und in engem Zusammenspiel mit staatlichen Stellen. Innerhalb von Religionen können sich aber auch Spannungen verstärken und kann friedliches Miteinander gefährdet werden.
In jeder Religionsgemeinschaft gibt es Kräfte, die in die Gesellschaft hinein streben, und solche, die zum Rückzug in spirituelle Räume oder zu womöglich aggressiver Abgrenzung neigen.
2. Im Dialog voneinander lernen
Eine Kultur des toleranten und interessierten Miteinanders entsteht nicht von selbst, sondern muss geweckt und gepflegt werden: zwischen den Religionen, zwischen Religionsgemeinschaften und säkularer Gesellschaft und, ebenso wichtig, zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen und Glaubensrichtungen innerhalb einzelner Religionen. Nachdem schon vor 75 Jahren die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegründet wurde, haben in jüngerer Zeit Engagierte auch aus anderen Religionsgemeinschaften Organisationsformen aufgebaut, die erfolgreich in diese Richtung wirken: Religionen auf dem Weg des Friedens (2010), Lange Nacht der Religionen (2011), House of One (2011), Meet2respect (2013), Berliner Forum der Religionen (2014), Deutsche Islam-Akademie (2018), Muslimische Kulturwoche (2018), Interkulturelles Zentrum Genezareth (2021), Muslimische DiaLogen (2021), Drei-Religionen-Kita-Haus (2021) und andere. Die meisten dieser Projekte hätten ohne staatliche Förderung, sei es im Bereich des Beauftragten für Kirchen, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften oder durch andere Stellen, nicht entstehen oder sich nicht dauerhaft etablieren können.
3. Brücken zwischen den Religionsgemeinschaften und in die Zivilgesellschaft
Diesen vielfältigen, sich ergänzenden Initiativen ist es auf je eigene Weise und auch im Verbund untereinander gelungen, durch kontinuierliche Arbeit Brücken zwischen den Religionsgemeinschaften zu bauen und dort weitere Kräfte für Dialog und gesellschaftliche Öffnung zu gewinnen. Diese Arbeit muss fortgesetzt und sollte ausgeweitet werden.
Zugleich trugen ihre Aktivitäten dazu bei, in der Zivilgesellschaft Sensibilität für religiöse Bedürfnisse zu wecken und zu verstärken; z. B. durch die alljährlichen Veranstaltungen zur Langen Nacht der Religionen, durch Kooperationsveranstaltungen im Bildungsbereich oder unlängst durch die sehr stark nachgefragte Broschüre „Ramadan und Grund-schule“. Das ist gerade in Berlin mit seinem Ruf als Hauptstadt des Säkularismus wichtig. Viele Menschen in der Stadt sind sich der Relevanz von Religion nicht bewusst. Oder sie sehen einseitig die mit Religion bzw. mit einzelnen Religionen verbundenen Risiken. Auch darin liegt eine Gefahr. Und auch hier sind Aufklärung und das Setzen und Bekanntmachen positiver Beispiele weiterhin dringend erforderlich.
4. Ansprechpersonen und Multiplikator:innen in den Communities
Über die in Dialogformaten gewonnenen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in den Religionsgemeinschaften werden Personengruppen erreicht, die für die Politik auf direktem Wege nur schwer oder gar nicht ansprechbar sind. Dies ist auch sicherheitspolitisch relevant. Der damalige Innensenator Körting hat nach den Anschlägen von Paris und London gesagt, dass man im Konfliktfall Ansprechpartner:innen braucht, um Eskalations-spiralen zu vermeiden. Diese müssen in die Breite ihrer jeweiligen Communities hinein glaubwürdig sein und Anerkennung genießen, um friedens- und gemeinschaftsfördernd wirken zu können. In den stark migrantisch und postmigrantisch geprägten muslimischen Communities der Stadt ist solche religiöse und kulturelle Nähe besonders wichtig, um Menschen zu erreichen und problematischen Entwicklungen entgegenzuwirken. Auch der Kontakt zu lokalen und bezirklichen Einrichtungen wird durch den Austausch im inter- und im intrareligiösen Dialog befördert.
5. Frieden unter den Religionen braucht Begegnung
Friede unter den Religionen ist ein hohes Gut. Nicht zuletzt durch die Bemühungen der interreligiösen und intrareligiösen Dialogprojekte ist es lange gelungen, interreligiöse Konflikte, die international eine große Rolle spielen, aus der Stadt herauszuhalten. Dies betrifft Konflikte zwischen Sunnit:innen und Schiit:innen (Irak, Naher Osten), zwischen Buddhist:innen und Muslim:innen (Myanmar), zwischen Hindus und Muslim:innen (Indien).
In der aktuellen Situation seit dem 7. Oktober 2023 machen jüdische, aber auch muslimische Menschen in Berlin deutlich andere, teilweise beängstigende Erfahrungen. Umso wichtiger sind gerade jetzt alle Arten von Begegnung und Kooperation zwischen jüdischen und muslimischen Menschen. Antisemitismus und anti-muslimischer Rassismus steigen in allen gesellschaftlichen Gruppen, deshalb ist es wichtig, dem durch positive Beispiele der Verständigung der beiden Communities entgegenzuwirken.
6. Für den Dialog unverzichtbar: Personelle Kontinuität und Professionalität
Inter- und intrareligiöser Dialog ist kein Selbstläufer. Er braucht Personen, die ihn initiieren, koordinieren und am Laufen halten. Um die vielfältig geforderten und oft ehrenamtlich tätigen Akteurinnen und Akteure aus den Religionsgemeinschaften zusammenzuhalten und immer wieder neue zu gewinnen, ist personelle Kontinuität und Professionalität erforderlich. Diese übergreifende Aufgabenwahrnehmung liegt im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse. Ihre staatliche Förderung ist wohlbegründet und kultur-, integrations- und nicht zuletzt auch sicherheitspolitisch von hoher Relevanz.
7. Interreligiöser Dialog als gesellschaftliches Lernfeld
Friedliches und konstruktives Miteinander der Religionen ist ein wichtiges Thema der öffentlichen Bildung und der medialen Kommunikation. Bildungseinrichtungen und Medienschaffende brauchen Ansprechpersonen, die über Personen- und Strukturkenntnis verfügen und Kontakte vermitteln können. Auch hier haben die Dialogprojekte unersetzliche Bedeutung gewonnen.
Nur die großen Kirchen und Gemeinden verfügen über hinreichende Ressourcen, um hier-für in ihrem jeweiligen Bereich eigene professionelle Strukturen bereitzustellen. Kleine, unabhängige religiöse Gemeinschaften und Bildungsinitiativen haben diese Möglichkeiten nicht, deshalb ist hier eine Förderung umso wichtiger. Insbesondere im Blick auf die vielen muslimischen Menschen und Organisationen in der Stadt ist staatliche Förderung entsprechender Strukturen dringend erforderlich, auch zur Vernetzung und zum Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Richtungen des Islam.
8. Jugendliche erreichen
Einige der geförderten Dialogprojekte bieten eigene Bildungsformate an, um in besonderer Weise junge Menschen zu erreichen, und sind bestrebt, diese sehr nachgefragten Angebote und auf Partizipation angelegte Netzwerke auszubauen. Bei anderen gehört dies nicht unmittelbar zu ihrem spezifischen Aufgabenprofil. Auch hier werden aber Multiplikatorinnen und Multiplikatoren erreicht und vernetzt, die in ihren jeweiligen Communities mit Jugendlichen arbeiten und auf sie Einfluss haben. Dort Dialogoffenheit zu wecken und zu unterstützen, ist gesellschaftspolitisch ebenso wichtig wie die unmittelbare Bildungsarbeit.
9. Bei der Förderung projektspezifische Gegebenheiten beachten
Die geförderten Initiativen sind zumindest teilweise schon bisher prekär finanziert. Es bedarf hohen Einsatzes der Aktiven, um die wesentlichen Aufgaben zu erfüllen – und zu-gleich immer wieder neu Fördermittel zu akquirieren. Es gibt wenig Spielraum für Einsparungen. Selbst relativ geringe Kürzungen gefährden die Existenz der Projekte, wenn da-durch die Kontinuität des Dialogs sichernde Personen oder notwendige Räume nicht gehalten werden können! Die Projekte sind überwiegend auf Berlin zugeschnitten.
Das schließt dann den Zugang zu anderen Fördertöpfen, z.B. des Bundes, aus. Nur bei einzelnen Projekten gibt es institutionelle Partner, insbesondere aus dem kirchlichen Raum, über die in gewissem Umfang Eigenmittel zur Verfügung stehen. Andere haben Kooperationspartnerschaften aufgebaut, um auf die Weise zur Finanzierung beizutragen. Daher bedarf es bei der Bewertung der eingebrachten Eigenmittel differenzierender und wohlwollender Betrachtung.
10. Dialoglandschaft in gewachsener Vielfalt erhalten
Ohne die Projekte des interreligiösen und des intrareligiösen Dialogs in ihrer gewachsenen Vielfalt der Formate und der Zielsetzungen und ohne ihre Vernetzung untereinander und mit Partnerinnen und Partnern in Zivilgesellschaft, Bildungseinrichtungen, Behörden und Politik wäre die plurale Gesellschaft Berlins deutlich konfliktreicher. Dabei handelt es sich jedoch bei allen diesen Projekten um zarte Pflänzchen, am Leben gehalten durch das hohe Engagement der dort Aktiven. Alles, was hier geschieht, ist immer wieder neu Pionierarbeit. Diese sollte durch kluge und nachhaltige Förderung unterstützt werden. Sie zu gefährden, wäre religions-, kultur-, integrations- und sicherheitspolitisch fatal.
Berlin, den 14.11.2024
Für die Initiativen und Projekte des interreligiösen Dialogs:
Berliner Forum der Religionen, Dr. Michael Bäumer, Geschäftsführer
Deutsche Islam Akademie e. V., Pinar Cetin, Geschäftsführerin
Drei-Religionen-Kita-Haus e. V., Rabbinerin Gesa Ederberg, Kathrin Janert, Superintendentin Dr. Silke Radosh-Hinder, Iman Reimann
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin e. V.
Interkulturelles Zentrum Genezareth, Nidanur Güccük, Projektleitung
Jüdisches Zentrum Synagoge Fraenkelufer e. V., Dr. Dekel Peretz, Vorsitzender
Lange Nacht der Religionen in Berlin e. V., Christiane Uekermann, Vorstandsvorsitzende
Muslimische DiaLogen, Juanita Villamor, Projektleiterin
Muslimische Kulturwoche, Levent Kılıçoğlu, Projektleiter
Stiftung House of One, Roland Stolte, Vorsitzender des Verwaltungsdirektoriums
Diesen Appell unterstützen:
Dr. Karlies Abmeier, Vorsitzende des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin
Peter Amsler, Landesbeauftragter für den interreligiösen Dialog der Bahai-Gemeinden in Berlin
Abdulah Arnaout, Koordination Rat Berliner Imame
Superintendent Carsten Bolz, Evangelischer Kirchenkreis Charlottenburg-Wilmersdorf
Peter Conrad, Geschäftsführer meet2respect gUG
Yalcin Delikaya, Deutsches Muslimisches Zentrum e. V.
Dorothea Gauland, Pfarrerin für interreligiösen Dialog, Ökumenisches Zentrum. Berliner Missionswerk
Martin Germer, Pfarrer i. R., Vorsitzender Ohne Unterschiede - für einen fairen Umgang mit Muslimen e. V.
Rebecca Habicht, Beauftragte, Arbeitsstelle für Ev. Religionsunterricht West der Evange-lischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Angelica Hilsebein, Referentin für den interreligiösen Dialog im Erzbistum Berlin
Dr. Susanna Kahlefeld, Sprecherin der Fraktion B90 / Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin für Engagement & Beteiligung, Europa und Religionspolitik
Prof. DDr. Felix Körner SJ, Nikolaus-Cusanus-Lehrstuhl für Theologie der Religionen am Zentralinstitut für Katholische Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin und erzbi-schöflicher Beauftragter für den Dialog mit dem Islam
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl, Direktor Berliner Institut für christliche Ethik und Politik
Susanne Pumpe, Beauftragte für Flucht - Migration - Integration im Evangelischen Kir-chenkreis Charlottenburg-Wilmersdorf
Mohamed Taha Sabri, Vorsitzender Neuköllner Begegnungsstätte e. V.
Prof. Dr. Werner Schiffauer, Europa Universität Viadrina
Prof. Dr. Thomas M. Schimmel, Politikwissenschaftler
Katrin Visse, Referentin für Islam und Theologie an der Katholischen Akademie in Berlin e. V.
Pfarrer Frank Vöhler, Beauftragter für den interreligiösen Dialog im Evangelischen Kirchenkreis Charlottenburg-Wilmersdorf
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer Deutscher Kulturrat e. V.
Ansprechpersonen:
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